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An einem Samstag im September

Es ist der Tag des Kaffees. In Berlin-Mitte ist das ja gefühlt jeden Tag der Fall (alle haben immer Urlaub oder arbeiten in der Kreativbranche, sitzen also im Café vor ihrem Mac), aber am Samstag, den 6. September ist es das ganz offiziell. Pro Macchina lädt zu einem Coffeetasting, wo man sich  durch verschiedene Sorten „Espresso-Blends bis feinste Single Estates“ schlürft, den Bohnen beim Rösten zusieht und „Chef-Diplom-Kaffeesommelier und Q-Grader Ivo Weller“ bei der Arbeit – was man eben so macht, wenn die Filterkaffeewelle einen mit sich reißt. Kein Hipsterhasser hätte sich das besser ausdenken können.

In der Einladung steht: zwölf bis achtzehn Uhr. Weil die vergangene Nacht lang war (lohnenswert lang wie immer dort), zeigt der Uhrzeiger bei meiner Ankunft eher in Richtung sechs als zwölf. Die Coffeetasting-Chose ist längst zu Ende. Ich weiche ganz klassisch auf Cappuccino und die Wochenendausgabe der Süddeutschen aus und mir fehlt eigentlich nicht viel zum Glück. Etwas Süßes vielleicht.

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Wiener Weisheiten in der Ackerstraße…

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… wo natürlich FM4 die bessere Wahl wäre-

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Eva who?

Auf dem Weg zum Weinladen (dazu später mehr) stolpere ich unverhofft in das Ackerstraßenfest. Welch Glück! Das Wetter: beinahe Sommer. Das Essen: ein Traum. Zur Auswahl steht thailändisches Street Food von The Ponch (kommt auf die To-Do-Liste), österreichische Küche (ein Restaurant mit „Wien“ im Namen muss logischerweise auch auf die To-Do-Liste) und Burger von Brandenburger Wildschweinen.

Meine Wahl fällt auf das Salsiccia-Sandwich bei Papà Pane. Trotz propagierter Sparsamkeit der Superlative: lange her, dass ich etwas derart Großartiges gegessen habe. Die Salsiccia ist herrlich fett, mit ausgeprägtem Fenchelaroma, das Brot knusprig und kross zugleich, der Auberginensalat (eine Art Caponata) ebenso wie der Löwenzahnsalat ein Gedicht. Schmeckt so das Glück? Es fehlt ja noch etwas Süßes, deswegen ein Zwischenstop bei Leck mich. Dessen Besitzer ist Franzose und bereitet das Eis nach Rezepten seiner Mutter zu. Weil Mütter wissen, was Kinder brauchen, stecken ganze Reiskörner in der Milchreiskugel.

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Favorit: Milchreis!

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Ein Name, der irgendwie nicht ganz so leicht über die Lippen geht.

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Schmeckt so das Glück?

Dann die Sache mit dem Wein. In harter Konkurrenz zum Tag des Kaffees ist an diesem Wochenende der jährliche Branchentreff des VDP, des Verbunds Deutscher Prädikatsweingüter. Hierzu reisen Winzer aus ganz Deutschland in die Hauptstadt, um die sogenannte Große Lage zu verkosten. Als Warm-up werden in diversen Kunstgalerien unter dem schrägen Motto „Ein sinnlicher Dialog“ Weine kredenzt. Warum in Kunstgalerien, frage ich laut? Weil Weinliebhaber auch Kunstliebhaber seien, eine ziemlich verkürzte Argumentation, aber was soll’s.

Von diesem Warm-up wusste ich nichts, ich wusste allerdings von seinem Finale in der Weinbar Rutz, die sich praktischerweise unter meiner Wohnung befindet. Jeder, der eine Flasche Großes Gewächs mitbringe, sei herzlich willkommen hieß es, weswegen ich satt und glücklich mein Fahrrad und mich zur Weinhandlung Baumgart und Braun rolle. Unterwegs zwei weitere Punkte für die To-Do-Liste notiert, den Feinkostladen Vom Einfachen das Gute, wo sie Antipastiplatten servieren und Apfelsaftschorlen und Cider mit Fuchslogo, und Les Patissiers de Sebastian, dessen Kuchenvitrine so aussieht, als ob ein einziger Besuch nicht ausreicht.

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Tiere des Waldes auf Getränkeflaschen, da klingelt doch was.

Auf dem Nachhauseweg bleibe ich am Schaufenster der Fleisch Handlung kleben. In Erinnerung an das vorangegangene Wursterlebnis frage ich nach Salsiccia und werde fündig. Nebenbei tausche ich mit der herzlichen Verkäuferin Rezepte aus. Wir finden beide: Jamie Oliver ist der Salsiccia-King (Salsiccia aus der Haut pellen, kleine Kugeln formen, in Öl anbraten. Pancetta zugeben. Mit Eigelb, Parmesan, Ricotta übergießen. Pasta dazu). Auf eine verrückte und fast vergessene Art steht dieser Samstag im September im Zeichen der Fleischeslust.

Aus der eigenen Wohnung geht es ein wenig später die hundert Stufen hinunter in die Weinbar Rutz, so eine Art verlängertes Wohnzimmer beziehungsweise Küche, denn ein Wohnzimmer habe ich nicht und die Küche eines Sternerestaurants ist natürlich weitaus interessanter – zur lange und sehr korrekt mit einem Zettel für die Nachbarn angekündigten „Bottle Party der Gesellschaft zur Bekämpfung der Nüchternheit“ (dito). Bedauerlicherweise verschwinden die von den Gästen mitgebrachten Großen Gewächse bei Ankunft umgehend im Hinterzimmer. Der Verlust ist jedoch schnell vergessen angesichts der langen Liste der zu verkostenden Weine.

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Wir sind dabei, keine Frage!

Als wäre all das nicht großartig genug, grüßt die Küche durchgehend in Form exquisiter Häppchen: Mini-Krabbenbrötchen, Häppchen vom Waygu-Rind, Blutwurst mit Steckrübeneintopf. Letzteres in meinem Mund hätte ich noch vor wenigen Wochen für einen Scherz gehalten, aber Zeiten und Gesinnungen ändern sich, nicht wahr. Wenn man also für einen Moment den Gedanken der Provenienz ausblendet, schmeckt man: Heimat. Ja, ich habe viel darüber nachgedacht, was Fleisch Essen zum Genuss macht (gerade weil ich einige Monate darauf verzichtet habe) und bin zum vorläufigen Schluss gekommen, dass es Geborgenheit suggeriert, ein Aufgehobensein, eine Zuversicht aus Kindertagen und Sonntagsbraten. Ja, es stimmt: Fleisch essen lohnt sich. 

(Oder auch schön formuliert: „Auch wechselnde Gewohnheiten lassen sich mit Verve ausleben. Ein Bekannter und stadtbekannter Feinschmecker hatte sich jahrelang einen Spaß daraus gemacht, in Berlins bekanntestem Steakhouse stets nur den Kopfsalat und die Gemüsebeilagen zu ordern. Kürzlich sei er bei Magnus Nilsson gewesen, erzählte er beiläufig, da habe er doch wieder ein bisschen Fleisch gegessen.“)

Was sich auch lohnt an diesem Abend im Rutz: der Käsestand von Fritz Lloyd Blomeyer. Auf das dazu gereichte Brot wie die Marmelade (welche die perfekten Aromen kaschieren würde) verzichten die meisten, denn Essen geht eigentlich schon lange nicht mehr – aber dann geht es doch, weil wirklich jede einzelne Sorte auf der Zunge zergeht und in ein ähnliches Verzücken versetzt wie die Würste von vorhin. Käse und Wein, auch so schmeckt das Glück. Es braucht nicht mal Marmelade.

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Zu!


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