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Besser spät als nie – einen Monat vegan

Wer immer und überall zu spät kommt, hängt auch bei Trends hinterher. Als ich mich probeweise zur veganen Ernährung durchringe, ist sie bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen, extrem höchstens noch in der Raw-Variante. Es gibt vegane Restaurants, Supermarktketten, Fitnessstudios. Sogar Osiander in Albstadt-Ebingen hat eine Ecke für vegane Kochbücher freigeräumt. Alle Medien haben ihre veganen Selbstversuche abgehandelt. Avantgardisten essen derzeit Paleo oder gluten-frei oder leben von Licht. Aber besser spät als nie – ich möchte einen Monat lang auf alle tierischen Produkte verzichten.

„Warum machst Du das?“ ist die am häufigsten gestellte Frage. „Weil ich’s kann“ meine liebste Antwort. Oder etwas ausführlicher: Weil ich es doof finde, über etwas zu schreiben, von dem ich keine Ahnung habe (gilt eingeschränkt und ist keineswegs Konsens, denn wenn sie immer alles ausprobieren müssten, über das sie schreiben, wären Journalisten ziemlich arme Schweine); weil ich wieder mehr selbst zubereiten möchte; weil ich mein Rezeptrepertoire erweitern möchte; weil ich wissen möchte, was dran ist an den Schauermärchen („nach vier Tagen wurde ich ohnmächtig“) und den Lobeshymnen („bessere Haut, bessere Laune, geringeres Schlafbedürfnis“).

Zur Vorbereitung studiere ich drei Bücher: La Veganista backt, aus dem die glorreiche Kürbis-Kokostarte stammt, mein Lieblingskuchenrezept des vergangenen Jahres, Vegan Guerilla und Sophias vegane Welt. Außerdem lese ich noch mal Katharina Seisers dreiwöchigen veganen Selbstversuch, den ich damals recht unbedarft verfolgt habe. Übrigens hat mein lieber Freund Julian, seit vielen Jahren Veganer, Katharina damals einen Kuchen vorbeigebracht. Just sayin‘.

Als Zeitraum definiere ich den Februar. So manch einer fastet in dieser Zeit, auch ohne religiösen Hintergrund, oder verzichtet auf sündige Dinge, das könnte die Sache erleichtern. Außerdem ist im Februar sowieso alles trostlos. Trostlos ist auch, dass gleich am ersten Morgen – halb zehn in Deutschland – das Display des Redaktionsaufzugs „‚Sie sind asozial‘ Die Bösartigkeit vieler Veganer“ twittert. Anderen eine Moralpredigt halten, andere in ihrem Essverhalten stören, das will ich um jeden Preis vermeiden.

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Morgens halb zehn in Deutschland.

Schnell werden zwei Dinge klar. Erstens: An Ideen mangelt es nicht. Nach einer oberflächlichen Durchsicht der Kochbücher komme ich auf eine gut zwanzig Punkte umfassende Liste, die als veganes Moodboard an die Küchenwand gepinnt wird. Desweiteren finde ich in meiner eigenen Sammlung einige sozusagen von Natur aus vegane Rezepte, zum Beispiel Fateh al Hoummus, Pasta in allen Variationen, Currys, überhaupt viel Asiatisches. Auch die meisten Beilagen gehen in Ordnung, abgesehen von Spätzle und in Butter geschwenkten Spinatknödeln. Ganz zu schweigen von tierlosen Lebensmitteln, die sowieso auf meinem Speiseplan stehen wie Nüsse, Avocado, Tofu, dunkle Schokolade. Zweitens: Ich habe ein Kaffeeproblem. Seit einiger Zeit trinke ich wieder laktosefreie Milch, das ist schon ein trauriges Zugeständnis an die Unverträglichkeit. Alles andere ist schlicht ungenießbar. Ich habe es mit allen Sorten Sojamilch versucht, mit Mandelmilch, Cashewmilch, schwedische Hafermilch (die in puncto Design gewinnt). Schwarzer Kaffee wäre natürlich eine Option. Aber nein – jeden einzelnen Morgen sehne ich mich nach meinem Espresso Latte. Jeden. Einzelnen. Morgen.

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Außen hui, innen nicht kaffeekompatibel: Hafermilch aus Schweden.

Veganes Moodboard.

Rezepteuphorie hin oder her – diesem Anfang wohnt kein Zauber inne. Ständig habe ich Hunger beziehungsweise das Gefühl, nie richtig satt zu werden. Zudem bin ich es nicht gewohnt, beim Essen außer Haus derart streng zu selektieren. Nach stundenlanger Suche nach einer heißen Schokolade mit Sojamilch weiß ich, dass selbst in Berlin teilweise mildes Desinteresse am Vegan-Trend herrscht. In Charlottenburg etwa, wo eine Heiße-Schokolade-Verkäuferin ernsthaft vorschlägt, ich solle doch in den Supermarkt gehen, wenn ich „was mit Soja“ wolle. Ich lese, dass New York ein Paradies für Veganer sei und bemitleide jene in der deutschen Provinz. Gezwungenermaßen nehme ich das seltsame Verb „vorkochen“ in meinen Wortschatz auf. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, schon einmal Sonntag abend um zehn ohne Appetit Brokkoli blanchiert zu haben.

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Das seltsame Substantiv „Vorkochen.“

Es ist ja bekannt, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist. Und siehe da, plötzlich geht es meistens ziemlich und manchmal richtig gut, zumal die Heißhungerattacken nach wenigen Tagen ausbleiben. Bei jedem Bioladenbesuch entdecke ich neuen guten stuff, alle möglichen Nusspasten, Kokosöl, Raw-Chocolate-Riegel. Permanent stoße ich auf neue Rezepte, oft da, wo ich sie nicht vermutet hätte. Die Süddeutsche empfiehlt Schokoladenpudding aus Avocados. Seit Ewigkeiten gehe ich mal wieder zu Goodies und stelle fest, dass auch ein perfekter veganer Sonntag möglich ist, mit Makamandelmilch und einem nicht sehr appetitlich klingenden, aber recht geschmackvollen Mudcake.

Das Problem ist ein anderes. Oscar Wilde formulierte es so: „Ich kann allem widerstehen, außer der Versuchung.“ Und hell yeah, die Versuchung lauert nun mal an jeder Ecke. Einmal werde ich auf eine private Feier gelockt mit dem Versprechen auf ein veganes Buffet. Der Abend endet einsam bei Vöner, wo ich wie ausgehungert ein Seitansandwich hinunterschlinge, leider ohne Erdnusssauce, dafür mit aufmunternden Worten vom Kerl hinterm Tresen, der natürlich ein Veganer ist. Beim Cee Cee-Meeting bleibt mir nichts übrig, als die Apfelscheiben vom Kuchen zu kratzen. Bei der Restauranteröffnung bin ich froh, dass wir zu spät kommen und es nichts mehr gibt, das ich hätte anschauen müssen, ohne kosten zu können – wie ein Hund vor dem Hähnchenschaufenster.

Überhaupt lässt sich die vegane Diät schlecht mit meinem Job vereinbaren. Viele Einladungen schlage ich von vorne herein aus, weil ich sowieso nichts essen könnte. Für Welt Online soll ich ein Kochbuch testen. Viele der Rezepte enthalten Fleisch, einige sind immehin vegetarisch. Wie ich mittlerweile weiß, kommt man mit ein wenig Fantasie schnell von vegetarisch zu vegan. Milch lässt sich durch Soja-, Hafer- oder Nussmilch ersetzen, was außer bei Kaffee kein Problem ist. Selbiges gilt für Sojasahne. Statt Butter verwendet man Margarine. Sogar Ei lässt sich ersetzen, durch Sojamehl. Trotzdem gerät das Probekochen zu einem einzigen Kompromiss.

Ein Trost könnten explizit vegane Veranstaltungen wie Lost in Wedding sein. Vergangenen Sommer war ich schon mal da und nicht besoders angetan. Dieses Mal ist das Essen um Klassen besser, allerdings wieder von so bescheidenem Umfang, dass ich auf dem Nachhauseweg zu Rewe muss. Ob ich das „Giant“ oder das „Super Giant“ Menü hatte, weiß ich nicht mehr, aber beides kommt mir vor wie ein schlechter veganer Scherz. Schon klar, ins Sternerestaurant geht man auch nicht hungrig und mit Preisen zwischen sieben und dreizehn Euro sind drei beziehungsweise vier Gänge wirklich fair kalkuliert, aber trotzdem: sich hungrig essen mag ich nicht.

Etwa nach der Hälfte der angestrebten vier Wochen werde ich schwach. Es ist Samstag mittag, am Abend davor war ich länger unterwegs und habe irgendwie das Gefühl, zu Kräften kommen zu müssen. Passenderweise sind alle Zutaten im Haus, also mache ich Bananen-Erdnussbutterpancakes für sieben Personen – inklusive mir. Immerhin ohne Bacon. Es fühlt sich verboten an und sehr lecker.

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Der Geist ist willig, das Fleisch ist schwach.

Eine Woche später häufen sich die Ausnahmen. Hier ein Probierhäppchen Vollmilchschokolade, da ein Überlesen der sicher eh veganen Zutatenliste. Und dann kommt dieser eine Abend. Eine Restauranteröffnung, bei der wir die latent entsetzliche Situation vorfinden, dass es bei Ankunft nichts mehr zu essen gibt, dafür jede Menge Alkohol (das unterscheidet die entsetzliche Situation von einer total entsetzlichen). Freitag abend hin oder her – versuche mal, in Berlin-Mitte nach 22 Uhr etwas Veganes zu essen zu kriegen. Wir landen dann bei Muret la Barba. Ich bestelle: Burrata und Kartoffel-Wirsing-Ravioli in Salbeibutter. Man kann sich den Zustand meiner Glücksseligkeit kaum vorstellen. Butter, Burrata, dazu ein herrlicher Wein – pure Daseinsfreude.

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Oh Burrata!

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Oh Daseinsfreude!

Dass ich an diesem Abend das Experiment endgültig für beendet erkläre, könnte aber auch daran liegen, dass ich mich am Morgen desselben Tages mit der „Paradies-Diät“ beschäftigt habe – einer knallharten Rohkost-Ernährung, deren Vertreter nur Obst und rohes Gemüse zu sich nehmen. Allein der Ton des Buchs – seine kaum verhohlene Arroganz und Überzeugung totaler Überlegenheit all jenen gegenüber, die noch nicht kapiert haben, was der Körper wirklich braucht – machte mich so wütend, dass diese Wut dem veganen Ende sozusagen den idealen Nährboden bereitete. Denn eines will ich nicht sein: asozial.

Und wie schmeckt nach-vegan? Rund drei Wochen später habe ich genau einmal Fleisch gegessen, ein Happen Schweinebauch bei Cocolo Ramen. Es fühlte sich falsch an, vielleicht ist mal wieder die pescetarische Phase eingeläutet. Ich überlege öfter mal, ob Produkte vegan sind beziehungsweise studiere Zutatenlisten. Ich erfreue mich am Stück Parmesan im Risotto. Ich nasche nicht mehr so viel. Zuvor habe ich oftmals schlicht aus Gewohnheit nach jeder herzhaften Mahlzeit zu etwas Süßem gegriffen. Durch die Einschränkung (selten ist ein veganer Cheesecake zur Hand) habe ich das echte Bedürfnis vom falschen zu unterscheiden gelernt. Stichwort Bedürfnis – ich bin achtsamer geworden. Furchtbares Wort, inflationärer Trend – aber einer, den ich zur Abwechslung mal nicht verschlafen habe. Und einer, der sich jetzt gerade ganz gut anfühlt. Was danach kommt, weiß eh keiner.

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