Bald ist der Beruf des Pizzaboten ausgestorben und die DHL muss neue Arbeiter rekrutieren, um all die Fresspakete, sorry Kochboxen an all die Berufstätigen auszuliefern, die keine Zeit zum Einkaufen, aber große Lust auf Kochen haben. Diesen Eindruck erwecken zumindest die wie aus dem Boden sprießenden Kochbox-Startups. Nach Fresh Parsnip und Kuchimi ist Marley Spoon der dritte Testlauf. Mindestens ein weiterer ist in Planung. Kochbox-Experte mein Name, sehr erfreut!
Marley Spoon wirbt mit wöchentlich wechselnden Rezepten. Alle Zutaten werden marktfrisch geliefert, einzig das Küchengerät sollte der Hobbykoch im Haus haben. Was er kochen will, entscheidet er selbst, geliefert werden die Gerichte in zwei oder vier Portionen. Nach und nach erstellt das System basierend auf seiner Auswahl ein Geschmacksprofil. Geschmacksalgorithmus statt Geschmacksthesaurus – bald werden wir, ähnlich wie das bei Streamingdiensten bereits der Fall ist, noch vor dem Hunger wissen, was wir essen wollen.
Das eines Mittwoch abends an die Tür gelieferte Marley Spoon-Paket ist ähnlich groß wie das von Kuchimi, das mehr als doppelt so viele Mahlzeiten enthielt. Schuld ist die umfangreiche, zum Grübeln anregende Verpackung. Recyclebares Packpapier, okay, aber regenerative Schafswolle? Laut Beipackzettel ist auch sie wiederverwendbar, aber wofür?
Lassen wir uns von dem dezenten Stallgeruch nicht irritieren und beginnen mit dem ersten Rezept. Zugegeben habe ich die „Fruchtige Apfeltarte mit einer Flasche Silvaner vom Weingut Sander“ nicht des Kuchens, sondern des Weins wegen bestellt. Blätterteig gehört nicht zu meinen süßen Favoriten und bei Nachspeisen vermeide ich alles, was annähernd in Richtung Fertigmischung geht (eine Ausnahme sind die Aluformkuchen bei Rewe, für Festivals der helle Wahnsinn, aber das ist eine andere Geschichte). Als sozusagen kuratiertes Dessert-Duo wischt dieses Gericht meine Blätterteigzweifel beiseite. Food Pairing ist das Thema der Stunde! Waren früher Wein/Käse-Kombinationen das Höchste der Gefühle, geht heute alles und noch viel mehr, Käse und Whiskey, Kuchen und Süßwein, Champagner und Austern sowieso. Statt des Silvaners hätte ich auch einen Monte Mayor Reserva bestellen können. Rot zum Apfel kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, einen frisch-blumigen Weißwein mit ordentlich Säure (hessisches Hoffest!) hingegen sehr.
Die Zubereitung der Tarte ist idiotensicher, auch ohne den im Rezept angegebenen Küchenpinsel. Besondere Erwähnung muss der Bourbonvanillezucker von Rapunzel finden; da zeigt sich wieder einmal, dass punktuelle Investitionen bei Einzelzutaten ihr Geld wert sind. Meine Gäste und ich verzehren die Tarte ofenwarm, dem Wein muss leider mit Eiswürfeln nachgeholfen werden. Auch mit der richtigen Trinktemperatur überzeugt er weder pur getrunken, noch in der Kombination mit der Tarte. Beiden fehlt es an Raffinesse, Wiedererkennungswert. Geschluckt, getrunken, vergessen.
Zwei Tage später geht die Reise sozusagen nach Asien. Entscheidenden Anteil an der Entscheidung für das „Indonesische Kokos-Curry mit Tempeh und knackigem Gemüse“ hat meine Bali-Reise Anfang des Jahres. Dort habe ich Tempeh schmecken gelernt, ein Sojabohnenerzeugnis, roh ungenießbar, gebraten eine angenehme Abwechslung zu Tofu. Manche schimpfen beides als geschmackslos, ich finde, es handelt sich um perfekte Geschmacksträger, dankbar für jegliches verrückte Würzen. Bislang habe ich Tempeh in Berlin noch nirgends entdeckt, habe aber auch nicht danach gesucht. Für meinen ersten Versuch des indonesischen Nationalgerichts Gado Gado, zu deutsch „Durcheinander“, habe ich mich an Jamie Oliver gehalten und statt Tempeh ersatzweise zu Mandeltofu gegriffen. Lecker war das!
Entsprechend hoch sind (wie immer, mon dieu) meine Erwartungen an dieses Curry. Marley Spoon kombiniert den Tempeh mit Babymais, Kaiserschoten und Reisbandnudeln. Das Gemüse wird knackig angebraten, die Nudeln ziehen kurz in heißem Wasser. Die eigentliche Aufgabe besteht im Zusammenrühren der Würzpaste, bestehend aus Thai-Basilikum, Knoblauch, Chashews, Zitronengras und Tamarindenpaste. Letztere macht mich besonders skeptisch, zu frisch ist die Erinnerung an eine auf Bali „genossene“ Tamarindenlimonade.
Abgesehen davon, dass das fertige Gericht nicht aussieht wie auf dem Foto, schmeckt es gewöhnungsbedürftig. Exotisch, wenn man so viel, etwas Vergleichbares habe ich noch nicht gegessen. Muss ich aber auch nicht noch mal. Der Kokosmilchgeschmack ist völlig verloren gegangen, an seine Stelle ist ein mehlig-bitteres Aroma unerklärlicher Herkunft getreten. Auch hier muss das Urteil kritisch ausfallen, zumal die Zubereitung weitaus mehr als die von Marley Spoon versprochenen dreißig Minuten in Anspruch nahm.
Was gefällt an Marley Spoon, ist die liebevolle Kundenbetreuung. Rund-um-die-Uhr-Hotline, ausführliche Mails und handgeschriebene Karten geben dem Hobbykoch das Gefühl, ein Mensch zu sein und nicht nur eine Nummer. Trotzdem überzeugt mich das Essen nicht.
To be continued…
Danke an Marley Spoon für ein Neu-Triggern des Geschmacks von Tamarinde.