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„Es gibt im Floinc alles und jederzeit“

Wenn man glaubt, alles gesehen zu haben, findet man sich zum Dinner im achten Stock eines verlassenen Plattenbaus mit dem angemessen größenwahnsinnigen Namen Neu West Berlin wieder. Vorausgesetzt, man hat sich zuvor durch einen Hinterhof gefragt, der Verwahrlosung der Eingangstür getrotzt und das „Außer Betrieb“-Schild auf dem Aufzug ignoriert. Oben angelangt, geleitet einen eine junge, schwarz gekleidete Frau in einen fast leeren Raum. Dass man auf den Fotos nichts erkennt, liegt ausnahmsweise nicht an meinem Farbfilter-Tick, sondern an den Lichtverhältnissen. Die sind sehr schlecht, flackernde Kerzen, aber ohne Candlelight-Charme. Willkommen im Restaurant Floinc. Erster Eindruck dieses irren Etablissements: Es gibt weder Türen, noch eine funktionierende Heizung, dafür jede Menge Platz. Meine Begleitung und ich gebieten über einen gut fünfzehn Quadratmeter großen Raum.

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Viel Platz ist hier kein Luxus.

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Platte mit Aussicht.

Es hängt, steht, liegt in diesem Raum natürlich auch ein bisschen Kunst herum. Vielem davon ist mit kunsthistorischen Beschreibungen nicht beizukommen, etwa den von der Decke baumelnden, mit einer Flüssigkeit gefüllten Plastiktüten oder der Fotografie eines schwarzen Kubus‘ inmitten einer Wüstenlandschaft. Offenbar betreibt das Neu West Berlin eine Kooperation welcher Art auch immer mit der Meisterklasse der Kunstakademie Düsseldorf und / oder der UDK Berlin.

Überhaupt muss es im Floinc sehr oft „und /oder“ heißen. Je nachdem, wen man fragt, kommt der Koch aus Tschechien / New York / Graz, ist die Küche deutsch / regional / mediterran inspiriert oder ganz von den Wünschen der Gäste abhängig. Dazu passt, dass  die Dinner nur stattfinden, wenn vorab genug Gäste reserviert haben.

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Op-Art-Vase und Kerzenschein.

Ich komme ein wenig zu spät, da steht die Pulle Bouvet Saphir schon auf dem Tisch. Es folgt die Vorspeise, eine Kürbissuppe mit Fenchel. Sie ist nicht warm genug, schmeckt aber gut mit Tendenz zu „interessant“, das kommt vom leichten Bitteraroma, das meiner Begleitung allerdings missfällt. Als Hauptgang wird ein paniertes Kalbsschnitzel serviert, mit einem säuerlich angemachten Gurkensalat, der mich an den meiner Mama, meine Begleitung hingegen an Schulkantine erinnert, und ein Türmchen gewordenes Kartoffelgratin. Wie an der Kürbissuppe gibt es nichts zu meckern, aber eine kulinarische Offenbarung ist es auch nicht. Enttäuschend hingegen das Dessert: ein gummiartiges Mini-Schokoküchlein ohne erkennbaren Eigengeschmack mit einer wabbrigen Vanillecreme. Alles in allem ist das Essen im Floinc irgendwie egal.

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Irgendwie egal.

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Kürbissuppe mit Fenchel.

Wer sich daran nicht stört, wird mit einer traumartig-bizarren Szenenerie entschädigt. Ich habe mich ein wenig wie in Shakespeares „Sommernachtstraum“ gefühlt. In diesem Fall ist der Inhaber Patrice der Waldgeist Puck. Patrice trägt Trainingsanzug, Sneaker, Schnauzbart und hat die seltsame Angewohnheit, sich mitten im Satz einfach wegzudrehen oder gleich ganz zu verschwinden. Folglich kann ich nicht in Gänze sein sich um verbotene Sätze drehendes Buchprojekt wiedergeben, obwohl ich es sehr interessant fand.

Patrices am häufigsten gebrauchtes Adjektiv ist „easy.“ Crémant-Reste austrinken? Easy. Sein Restaurantkonzept mit dem eines Damien Hirst vergleichen? Easy. Er huscht durch die dunklen Gänge, feixend, schelmisch, tischt den Gästen Geschichten auf, die mitunter an Glaubhafitgkeit vermissen lassen. Meine Lieblingsgeschichte ist die einer Kooperation zwischen dem Neu West Berlin und der Porzellanfirma Rosenthal, in deren Auftrag Patrice die Berliner Mauer in Miniaturform herstellen lässt. So sehr ich es auch versuche, ich habe kein inneres Bild davon vor Augen. Da hilft auch das Gastgeschenk nichts, eine Zuckerdose für die heimische Küche, mit der ich nicht viel anzufangen weiß und damit später am Abend einem Türsteher einer Neuköllner Bar eine Freude mache („Ick freu mir“).

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Ein Neuköllner Türsteher wird sich darüber freuen: die Zuckerdose.

Mindestens so seltsam wie die Zuckerdose ist Gastgeschenk Nummer Zwei. Pro Dinner gibt es im Floinc jeweils nur eine Sorte Rot- und Weißwein, ausgesucht von Maestro Patrice persönlich, aus dem Sortiment des empfehlenswerten Weinhandels Passion Vin ein paar Häuser weiter. Heute Abend ist es der „Saint Cosme ‚Little James´ Basket Press‘ Blanc“ von 2012: großartiges Piraten-Etikett (das mich wieder an den „gelungene Weinetikett“-Blogpost in meiner digitalen Schublade erinnert), Frühling in der Nase, Obstkorb im Mund.

Der Rotwein ist der „Tu Vin Plus Aux Soirées“ von Fabien Jouvet. Auch dieser besticht durch eine großartige Flaschengestaltung und natürlich das knifflige französische Wortspiel, an dem meine Begleitung und ich den ganzen Abend herumrätseln. Patrice zufolge kommt er vom Weingut eines französischen Stand-up-Comedians und wer weiß, vielleicht stimmt das ja. Was ich weiß ist, dass mir der Wein nicht schmeckt. Das sagt nichts über dessen Qualität aus, er schmeckt halt nicht, Punkt. Als ich Patrice davon in Kenntnis setze und stattdessen wieder auf Weißwein umschwenken will, kommt er mit einer vollen Flasche davon und den Worten zurück: „Zuhause wird er Dir schmecken.“ Ich bezweifle das.

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Zuhause wird er schmecken? Ich bezweifle das.

Nach dem Essen führt Waldgeist Patrice uns durch sein Reich. Im Nebenraum feiert eine PR-Agentur aus unbekanntem Anlass. Offenbar haben sie die Macht über die Musik, was zu einem grotesken Mix aus Rihanna, den Talking Heads und irgendwelchen Chartsstürmern (oder dem, was ich dafür halte) führt.

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Mit kunsthistorischem Wissen kommt man hier nicht weit.

Abgesehen von diesen PR-Menschen mit Hang zum Musikeklektizismus schleichen Menschen umher, die das schöne Wort „Nachtlebenexistenz“ in Erinnerung rufen. Nicht unbedingt, aber möglicherweise partiell mit dem Zusatz „gescheitert“ versehen. Ich verwerfe meine „Sommernachtstraum“-Assoziation zugunsten dieser: die Technojünger der 90er Jahre, all jene, die wir gute zehn Jahre zu spät Zugezogenen für ihre Cluberfahrungen beneiden – Parties in leer stehenden Häusern, illegale Raves in Hinterhofbars, After Hours in Heizkellern – sind jetzt ein bisschen älter geworden, können mit der gegenwärtigen Easy Jet-Clubszene nicht mehr viel anfangen, wollen aber trotzdem noch ausgehen. Für diese Menschen hat Patrice aka Puck aka Master of Abriss ein Refugium geschaffen. Da soll noch jemand behaupten, Berlin habe schon alles gesehen. Bei genauem Suchen findet sich immer eine Marktlücke.

Als ich ein paar Tage später ein paar Fragen per Email stelle, erhalte ich von Patrice eine angemessen kryptische Antwort: „Es gibt im Flonic alles und jederzeit.“ Ich lasse das jetzt mal so stehen.

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