Kaffee ist der Chardonnay der Nullerjahre. Das zumindest könnte man meinen, angesichts des Distinktionspotential, das diesem Getränk inne wohnt. Wer trinkt denn heute noch Latte Macchiato? Oder Cafe au lait? Lustig ist natürlich, dass eben jene in den 90ern sozialisierte Latte Macchiato-Fraktion damals verächtlich auf Filterkaffeetrinker herab schaute. Heute ist Filterkaffee das Getränk der Stunde, mit dessen Coolness es höchstens ein Matcha-Latte aufnehmen kann.
Drei Röstereien haben Berlin gewissermaßen unter sich aufgeteilt. Der Kaffee von The Barn kommt mit einem unverwechselbar milden Geschmack mit hohem Säureanteil. Das muss man mögen. Zu trinken und kaufen gibt es ihn in der hauseigenen Roastery am Rosa-Luxemburg-Platz und in einer kleineren Filiale in der Auguststraße. Sehr empfehlenswert hier wie da ist, nebenbei bemerkt, der Carrot Cake. Bei Five Elephant denke ich, man sehe es mir nach, immer zuerst an Cheesecake und erst danach an exzellenten Kaffee. Beides gibt es im gleichnamigen Café in der Reichenberger Straße. Der dritte im Bunde ist Bonanza Coffee Heroes, dessen Homebase in der Oderberger Straße gerade vergrößert wurde, angesichts des Besucherandrangs eine notwendige Maßnahme. Vorsicht: In allen drei Etablissements ist die Hipsterdichte hoch. Hipsterhasser, die trotzdem nicht auf guten Kaffee verzichten wollen (dem sie dann im stillen Kämmerlein mit ihrer Aeropress bei Drippen zusehen), kaufen die Bohnen für den Hausgebrauch.
Noch ist im Filterkaffeebusiness Luft nach oben und weitere Nachwuchsunternehmen stehen schon bereit. Eines davon ist Coffee Circle, ein Start-Up für nachhaltigen Kaffeeimport. Gegründet 2010 von Robert Rudnick und Martin Elwert, beschäftigen die beiden mittlerweile zehn Mitarbeiter.
Nachhaltigkeit ist ein Begriff, mit dem in Berlin gerne um sich geworfen wird und ganz besonders gerne in der Start-Up-Szene. Bei Coffee Circle bedeutet er, dass die äthiopischen Bohnen nicht von Plantagen stammen, sondern aus Gärten. Jeder Bauer ist den Betreibern persönlich bekannt und erhält einen über dem Weltmarktpreis liegenden Lohn. Pro Kilo verkauftem Kaffee fließt ein Euro in gemeinnützige Projekte, etwa den Bau einer Schule oder Trinkwasserversorgung. Nach dem Import werden die Bohnen in Berlin geröstet und zwar bei – Überraschung! – Five Elephant. Eine eigene Rösterei ist allerdings in Planung. Zu kaufen gibt es den fertigen Kaffee etwa im geliebt-gehassten Detoxtempel Daluma, bei New Deli Yoga und – noch eine Überraschung – als ganze Bohnen bei Kaisers.
Gerade ist das junge Unternehmen in ein angemessen runtergerocktes Fabrikgebäude in Wedding gezogen. An einem Mittwoch Nachmittag zur schönsten Kaffeezeit werde ich dorthin zur Verkostung eingeladen. Der erste Eindruck des offenen Büros deckt sich mit den Vorstellungen, die man als gerade aus der Uni in die Wirtschaftswelt entlassener Geisteswissenschaftler von einem Start-Up hat. Auf dem Tisch stehen die Reste eines gemeinsam verzehrten Desserts. Social Media ist wichtig, weswegen Instagram-Polaroids an der Wand hängen. Alle Mitarbeiter sind sehr jung, mit Freude bei der Sache und auf nachlässige Art gut gekleidet. Eine Kumpelhaftigkeit liegt in der Luft. Der sicherste Weg, es sich mit einem von ihnen zu verscherzen, wäre ihn oder sie zu siezen. Kurze Umfrage unter den Kaffee-Start-Up-Mitarbeitern: Wie viele Tassen trinkt ihr hier so pro Tag? Zwei, sagt der eine. Sieben bis acht, sagt die andere. Nehmen wir mal als Durchschnitt: vier.
Eingeladen wurde ich von Katrin. Bei Coffee Circle kümmert sie sich um Kommunikation und Marketing. Heute kümmert sie sich um mein noch immer rudimentäres Kaffeewissen. Acht verschiedene Sorten hat Coffee Circle im Sortiment, davon zwei bis vier wechselnde. Die wollen wir probieren.
Der Vergleich mit einer Weinverkostung ist kein bisschen weit hergeholt. Wie beim Wein unterscheiden sich auch die verschiedenen Jahrgänge einer Kaffeesorte, vorausgesetzt, es handelt sich nicht um Industrieware. Die wird nämlich – man könnte von einer Cuvée sprechen – aus so vielen verschiedenen Sorten zusammengepanscht, dass Eigenaromen untergehen. Noch eine Parallele: Auch hier wird erst mal geschnüffelt. Von Katrin lerne ich, dass Kaffee doppelt so viele Aromen hat wie Wein; Bahn frei für wilde Geruchsassoziationen! Ich rieche: Erde, Orange und Rindfleischeintopf. Spontan fällt mir die Dose Kaffeebohnen ein, die einem Douglas-Verkäuferinnen zwischen zwei Parfümproben zum Neutralisieren unter die Nase halten. Wenn Kaffeeduft neutralisiert, womit neutralisiert man dann Kaffeebohnen?
Nach ausgiebigem Riechen gehen wir zur Praxis über. Hierfür braucht es die sogenannte Chemex, eine 1941 entwickelte Glaskaraffe zum Kaffeebrühen, die gerade ihren zweiten Frühling erlebt. Nicht nur steht sie im New Yorker Museum of Modern Art, sondern hat auch einen Auftritt in diversen Filmen, über die Katrin eine Liste führt, darunter Her und Interstellar. Filterkaffee ist eben nicht Filterkaffee und ein schwer zu reinigendes Bosch-Gerät in matt-weiß wäre hier natürlich Fehl am Platz.
Bei Licht betrachtet ist das System allerdings ein altbewährtes. Wer zweifelt, google „Unterschied Chemex Kaffeekanne zu Omas Keramifilter.“ Und so geht’s: Vor Gebrauch den Filter ausspülen. Anschließend das gemahlene Pulver in den Filter packen. Heißes, nicht kochendes Wasser darüber und dann dem Kaffee beim Blasen Werfen zusehen. Insgesamt haftet diesem Procedere etwas Meditatives an. Am Ende hat man das Gefühl, selbst etwas hergestellt zu haben, das beruhigt.
Und wie schmeckt dieses Gefühl? Schlecht schmeckt es nicht, aber gewöhnungsbedürftig. Für jemanden, der seinen Espresso für gewöhnlich mit zwei Dritteln Milch streckt, wie ein komplett neues Getränk. Auch wenn ich mich jetzt als Banause entpuppe: mir ist die Zweidrittelvariante lieber. Am ehesten kann ich mir reinen Filterkaffee im Sommer mit Eiswürfeln vorstellen.
Weil gerade Winter ist, komme ich doch noch zu meinem Cappuccino. Und zwar vom Kaffeeschaum-Meister persönlich, mit formvollendeter Blattdekoration. Ohne Schablone.
Anders als nach einer Weinverkostung geht man nach so einem Coffee Tasting beschwingt in den Tag. Katrin entlässt mich mit der unglaublichen Information, dass die Früchte der Kaffeepflanze Kirschen genannt werden, Kaffeebohnen im Prinzip also nichts anderes sind als Kirschkerne. Kaffee kommt von Kirschen? In diesem Fall muss es heißen: Filterkaffee ist der Cherrydonnay der Nullerjahre.
Danke an Katrin von Coffee Circle für die Einführung in die Geheimnisse des Filterkaffees und eine Vorratspackung Kaffeegenuss zu Hause – für das gute Gefühl, selbst etwas hergestellt zu haben.