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R.S.V.P. – Cocktailparty in der Abrissbude

Die leider in Vergessenheit geratene Cocktail-Party: da denke ich an den Großen Gatsby, an zierliche Charleston-Kleider, Straußenfedern im Haar, Einstecktuch bei den Herren. An Whiskey-Tumbler und Kristallschalen, an aufgespießte Oliven und Silberlöffel. Eingeladen werden die Gäste per handgeschriebener Postkarte, mit der Grußformel R.S.V.P. oder, eine Nummer kleiner, u.A.w.g. Eine Cocktailparty ist die erwachsene Version des jugendlichen Vorglühens, wo es nur darum geht, auf möglichst billige Art möglichst schnell den richtigen Pegel für die folgende Partynacht zu erreichen. Bei einer Cocktailparty hingegen ist der Weg das Ziel. Inspiration stapelt sich auf meinem Hausbar-Beistelltischchen (ja, so etwas besitze ich): „Das perfekte Cocktailbuch“, „Die Schule der Trunkenheit“, „Das Ende der Enthaltsamkeit.“

Der Januar als lebensfeindlicher Monat schreit geradezu nach einer solchen Cocktailparty. Leider könnte meine Wohnung nicht weiter von der Grandezza einer Gatsby-Villa entfernt sein. Bauarbeiten der schlimmsten Sorte sind im Gange, „bei laufendem Betrieb“ wie es so schön heißt, ein Euphemismus für „die Bude wird zerlegt und der Mieter muss damit leben.“ Wir sind zu dritt, da stößt die Kapazität eines Haushalts ohne Spühlmaschine an ihre Grenzen. Zudem habe ich die Aufgabe, für einen Beitrag auf Welt ICON die Früchte unserer Ernte abzulichten, sprich Fotos von den fertigen Cocktails zu machen.

Wie immer geht vieles schief. Als schlechte Gastgeberin, die ich ab und an bin, habe ich vergessen, Eis zu machen, weswegen einer die hundert Stufen zum im Souterrain gelegenen Restaurant nehmen muss – danke Sarah Wiener. Schon nach dem ersten Drink sieht die Küche aus wie ein Schlachtfeld, aber daran habe ich mich in den letzten paar Tagen ja gewöhnt.

Abgesehen davon sind wir mehr damit beschäftigt, Fotos von unseren Getränken zu machen, als sie zu trinken. #youdidnotdrinkthat – kann es eine schönere Instagram-Persiflage geben? Der größte Faux-Pas ist so peinlich, dass ich ihn eigentlich gar nicht aufschreiben sollte: bisher bin ich davon ausgegangen, dass 2 cl in eine Schnapsglas passen. Es sind aber 4 cl. Folglich enthalten zwei der vier Drinks die doppelte Menge Alkohol. Folglich müssten wir ziemlich betrunken sein. Sind wir nicht, weil das Eis in den Fotopausen schmilzt.

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Die Küche, ein Schlachtfeld.

Eis in winterlichen Getränken? In der Tat wird nur einer der Drinks auf die übliche Glühweintemperatur gebracht. Los geht es mit dem Fairy Tale of New York nach einem Rezept des Lieblings-Foodblogs Smitten Kitchen. Zunächst ist ein sogenannter Wintersirup herzustellen, aus Zucker, Walnüssen, Äpfel, Birnen, Gewürzen. Olfaktorisch lebt Weihnachten noch einmal auf. Der abgekühlte Sirup wird mit Bourbon, einer Orangenzeste und einem Bitter (wir nehmen Orangenbitter) gemischt. Vom Wintersirup schmeckt keiner etwas, erst, als wir etwa drei Mal so viel wie im Rezept angebeben zugeben, dringt der würzig-süße Geschmack durch. Zwei von uns drein mögen keinen Bourbon, das hätten wir vorher bedenken müssen. Alle finden, dass dem New Yorker Wintermärchen ein bisschen Hitze gut tun würde.

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Fairy Tale of New York.

Zweiter Versuch: ein Klassischer Eggnot. Vom Herstellungsprozess erinnert das an Kuchen backen: Eier und Zucker schaumig schlagen, Milch und Sahne zugeben. Auch hier ist die Überraschung groß als wir feststellen, dass das Gebräu mindestens eine Stunde gekühlt werden muss. Im Prinzip ist der Eggnot die amerikanische Antwort auf das, was der Discounter hierzulande als „Omas Eierpunsch“ unters Volk bringt. Mich persönlich erinnert das an meine ein halbes Jahrzehnt zurückliegende White-Russian-Phase: ein Getränk wie ein Nachtisch mit Tendenz zum Overkill.

Weiter geht es mit dem Hot Buttered Rum. Erinnert sich jemand an das Butterbier in Harry Potter? Heiß, buttrig, süß – so habe ich mir diesen Drink vorgestellt, mit dem Unterschied, dass die Hogwarts-Crew wahrscheinlich unalkoholisch unterwegs war. Was gibt es Gutes über den Hot Buttered Rum zu sagen? Nichts. Er sieht so unappetitlich aus, dass ein Foto praktisch unmöglich ist (A. findet: wie lange stehen gelassenenes Abspühlwasser) und es gelingt ihm, gleichzeitig nach Nichts (also heißem Wasser), fettig (auf eine ranzige Art) und bitter zu schmecken.

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Hot Buttered Rum.

Zeit, sich auf den Ursprungsgedanken des Abends zu besinnen: der Abrissbuden-Stimmung mit edlen Barklassikern trotzen. Hilfe kommt vom Drink Syndikat. Hierbei handelt es sich um eine monatlich wechselnde, nach Hause gelieferte Box mit den Zutaten für zwei Cocktails. Mitte Dezember bekam ich eine solche Box vom Drink Syndikat-Gründer persönlich geschenkt, sozusagen die bessere Version des Coca-Cola-Weihnachtsmanns.

Optisch wurden hier Maßstäbe gesetzt, an die kein weiteres Weihnachtsgeschenk heran reichte. Von der himmelblauen Pappbox, über die filigranen Zeichnungen bis hin zu den Fläschchen im vom Monkey 47 inspirierten Apotheker-Style stimmt hier alles. Diese Fläschchen liegen im Inneren der Box auf Stroh gebettet wie das Jesuskind in der Krippe. Bezugsquellen sind ausgewählte Destillerien, der Gin kommt von der Destillerie Kreuzritter in Niedersachsen, der Wermut aus dem Schwarzwald, gewonnen aus badischen Weinen.

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Oh Du fröhliche Vorweihnachtszeit!

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Auf Stroh gebettet wie das Jesuskind in der Krippe.

Jeden Monat steht ein Spirituose im Vordergrund, im Dezember ist es Gin. Lucky me – eines der zwei Rezepte ist die Negroni-Variation Martinez.

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Lucky me!

Es mag trivial klingen, aber ich staune jedes Mal wieder, wie unterschiedlich die Negronis (oder heißt es Negrone?) in den verschiedenen Bars schmecken, obwohl es sich doch eigentlich um ein idiotensicheres Rezept mit dem Zutatenverhältnis 1:1:1 handelt. Von der Barkeeperin im Rum Trader kommt der Tipp, die doppelte Menge Gin zu verwenden.

Ähnlich verhält es sich mit dem Martinez. Manche Bars sehen hierin die poltische korrekte Version des mit bösem Campari gebrauten Negronis. Dem Rezept des Drink Syndikats folgend, nehmen wir 50 ml Gin, jeweils 20 ml roten und trockenen Wermut, 10 ml Maraschinolikör und zwei Tropfen Orangenbitters. Vom Negroni ist das Ergebnis so weit entfernt, wie die Toskana vom Berliner Winter und auch meinen letzten Martinez im Le Croco Bleu habe ich anders in Erinnerung. Sei’s drum, es schmeckt um Klassen besser als der Quatsch, den wir zuvor getrunken haben. Vielleicht muss man dem Berliner Winter so begegnen: mediterrane Sommergefühle statt kalter Punschpansche.

Danke an Erik von Drink Syndikat für ein wenig Glanz in der glanzlosen Küche.