Gewissermaßen ist das Cocktail Cabinet Book die Antithese zum Coffee Table Book. Auch in meiner Hausbibliothek sind Werke dieser Art prominent vertreten. Der letzte Neuzugang hat den Titel „Die Schule der Trunkenheit. Eine kurze Geschichte des gepflegten Genießens.“ Herausgeber ist die Victoria Bar, eine Institution des Berliner Nachtlebens. Da ich noch nicht dort war, kann ich das nicht beurteilen, hoffe allerdings auf eine stilvollere Einrichtung als in der Green Door, wo ein schauerlicher Eklektizismus aus karierten Tapeten, Plastik-Cockerspaniels und Zeichnungen von nackten Frauen mit gespreizten Beinen herrscht.
Fest steht, dass sie die Sache mit dem Trinken sehr ernst nehmen in der Victoria Bar. Nicht anders ist die dem Buch zugrunde liegende Vorlesungsreihe zu erklären, die sich mit hohem universitären Ernst dem Spirituosen-Einmaleins annimmt. Weil bei diesen Vorlesungen wohl auch der Praxis gehuldigt wurde, also gesoffen wurde und einiges Wissen verloren ging, gibt es dieses Buch. Geordnet sind seine Kapitel nach den Spirituosen, vom Whisky zum Tequila (der Großartiges wie den Margarita hervorbringt, den Angehörige meiner Generation aber leider mit Klassenfahrt und Salz-Zitronen-Shots verbinden), zum Gin (das Getränk der Stunde war immer schon der Favorit der Bartender) zum Champagner (eine Frau, die sich zum Champagner einladen lässt, formuliert so angeblich ihre sexuelle Verfügbarkeit, das ist mir neu).
Mit der Gestaltung hat man sich Mühe gegeben, die Seitenzahlen schmückt eine auf- oder untergehende Sonne, je nachdem, das Cover imitiert einen Ledereinband, schöne Typographie inklusive. Das schönste sind wohl die vielen, vielen Zitaten rund ums Trinken, von denen einige hier unkommentiert wiedergegeben werden: „Rollin‘ with my homies, sippin yak all night.“ (Coolio) – „Du hast recht gehört, dass ich nicht mehr trinke… ich trinke aber auch nicht weniger.“ (Ein gewisser Fields auf den Rat seines Arztes, es mit dem Alkohol langsam angehen zu lassen) – „I like Martinis. Two at the most. After two I’m under the table, after three I’m under the host.“ (Dorothy Parker, sehr undamenhaft) – „Wenn wir das Eis nicht brechen können, lass uns versuchen, es zu ertränken.“ (James Walker, ehemaliger Bürgermeister von New York, der fand, es sei eine Schande, am selben Tag ins Bett zu gehen, an dem man aufgestanden sei).
Zwei Anliegen stehen im Vordergrund: Zum einen die historische Betrachtung unserer Trinkkultur. „Die Schule der Trunkenheit“ ist mehr Geschichtsstunde als Sauffibel. Mit dem gesammelten Wissen macht man Eindruck beim nächsten Tresentalk, vorausgesetzt, es geht durch parallelen Alkoholkonsum beim Lesen nicht gleich wieder verloren. Wer weiß schon, dass die Butcher’s Bar , deren Eingang in einer Telefonzelle im Hinterraum einer Currywurstbude liegt, an das Speakeasy-Prinzip aus der Prohibitionszeit gemahnt, wo heimliches Trinken die Regel und „Jeder Drink könnte der Letzte sein“ das Motto war? Deutschland, das muss leider gesagt sein, ist weit von der Trinkkultur anderer Länder entfernt. Während andernorts Damen in Perlwein baden, blühen hierzulande Stilblüten wie „Das wärmste Jäckchen ist das Konjäckchen.“
Zum anderen geht es dem Buch um die Rehabilitierung dieser unserer Trinkkultur. Das ist bitter nötig, hat diese doch „den Ursprung im Schatten der Schirmchen verloren“, wie es an einer Stelle ganz richtig heißt – und wer jetzt auf die vielen hochpreisigen Bars verweist, die derzeit allüberall aus dem Großstadtasphalt schießen, der flaniere einmal an einem Freitag Abend über die Simon-Dach-Straße. Dort ist das Schirmchendiktat ungebrochen.
Zurück zur Ausgangsthese. Nicht ausgeschlossen, dass manche Leute sich einen Rausch anlesen, anstatt ihn zu erleben. Bei der „Schule der Trunkenheit“ liegen die Dinge anders. Hier versichern sich leidenschaftliche Trinker der Legitimität ihres Lasters. Am offensichtlichsten der SZ-Autor Peter Richter im Nachwort. Bereits vor einigen Jahren eruierte dieser in dem äußerst lesenswerten Buch „Über das Trinken“ den Sinn und Unsinn des Alkoholkonsums (mit der Tendenz zum Sinn). Mit Verweis auf den österreichischen Philosophen Robert Pfaller plädiert Richter für eine Kultur des maßvollen Trinkens. Das zeitweilige Rauscherlebnis gehöre zum Menschsein dazu, eine Gesellschaft, die sich das verbietee, sei dem Untergang geweiht (durch Langeweile und durch tödliche Askese).
Ein Alkoholkonsum, wie ihn die „Schule der Trunkenheit“ propagiert, steht in direktem Gegensatz zu einer Flatratekultur, zum Wegbier und zum Simon-Dach-Straßen-Schirmchenunsinn. Trinken ist Habitus, Trinken ist Distinktion. Distinktion kommt von Wissen und das liefert dieses Cocktail Cabinet Book, das jede Hausbar aufwertet. Mit den locker aus der Hand geschüttelten Sauf-Aperçus (die andere Hand schwenkt den Tumbler) legitimiert der Hausbarbesitzer auf kultivierte Weise das eigene Laster. Alle saufen, die Frage ist mit welcher Haltung. Oder wie es eine kluge Frau dereinst formulierte: Dummheit frisst, Intelligenz säuft. Eher muss es heißen: Auch Dummheit säuft, nur wahlloser. Oder, um mit Peter Richter zu sprechen: „Wer am Ende torkelt, hat es falsch gemacht. Wer nicht mal ein bisschen wankt, allerdings auch. Wer aber die Bar sozusagen surfend verlässt auf der Welle einer von guten Drinks befeuerten Euphorie: Der ist ganz nah bei den Göttern.“ Man muss das nicht gut finden. Aufrichtiger als die abstinente Alkoholpornografie ist es allemal.
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