Der Blogger ist ein einsamer Wolf. Selten begegnet er seinen Artgenosen in der freien analogen Natur, meistens bleibt es beim gegenseitigen Beschnüffeln im Netz. Zu meinen liebsten Kolleginnen gehört Katharina Seiser. Esskultur.at ist denkbar weit vom üblichen Rezept-Schnickschnack entfernt, stattdessen gibt sie Tipps, mit welchen Speisen man die Hitze übersteht (damals, ach, im Sommer), Erfahrungsberichte, wie es sich anfühlt, als Butterjunkie zeitweise vegan zu leben und angenehm undogmatische Aufrufe zum tierfreien Freitag. Einer meiner Wiener Freunde kam dereinst in den Genuss eines ihrer selbstgebackenen Kuchens, von Katharina Seiser persönlich überreicht. Sie soll sehr nett sein.
Entsprechend groß ist meine Freude über Katharinas Empfehlung eines Fish’n Chips-Pop-up-Restaurants, dessen temporäre Existenz mit meinem Wienbesuch zusammenfällt. Bis Mitte Dezember verwandelt sich eine kleine Gaststätte im ersten Bezirk von Dienstag bis Donnerstag Abend in die Fisherei. Katharina kommt eigener Aussage zufolge mindestens einmal die Woche hierher. Was kann es Schöneres geben als nach einer Fahrt mit dem Fernbus (Filterkaffee, plattgedrücktes Focaccia) mit Sack und Pack und einer lieben Begleitung am Blogger-Hotspot aufzuschlagen?
Donnerstag gegen zwanzig Uhr herrscht in der Fisherei Hochbetrieb. Wir haben das Glück, ohne Reservierung einen Platz zu bekommen, zumal, sapperlott, Reservieren nicht möglich ist. Katharinas Empfehlung folgend bestellen wir Kabeljau, außerdem Wedges, Cole Slaw, Erbsenpüree, Hausdip und Sauce Tartare. Der Hausdip entpuppt sich als komplexe Cocktailsauce, denkbar weit entfernt von dem, was Hobbygrillern gemeinhin aus Supermarktglasflaschen entgegenkommt, die Sauce Tartare als Creme auf Gurken-Ei-Basis.
Meine Begleitung ist Vegetarierin, weswegen ihr nur mehr die Wedges und Beilagen bleiben. Ein Jammer, ist der Kabeljau doch das, was Katharinas wöchentlichen Besuch und ihre „Ode an den Knusperfisch“ rechtfertigt. Seine Knusperhülle ist fettig, ohne fett zu sein, frisch frittiert, goldbraun. In Katharinas Worten: „ein bierbackteig, so krachend knusprig, ohne dabei auch nur eine spur hart zu sein, so gut, wie man ihn nicht beschreiben kann, er wird jede woche besser, weil lässiger und damit nicht ganz so akkurat abgetropft und damit mehr verwirbelungen und verzwirbelungen und verknusperungen.“ Der Fisch selbst hat eine butterweiche Textur und ist kaum gewürzt, was sich nur einer traut, der auf die Qualität des Tieres vertraut. Weniger angetan sind wir von den latent labbrigen Wedges und dem standardisierten Cole Slaw – vielleicht bin ich aber auch nur verwöhnt von dem, was bei Chicago Williams BBQ so bescheiden in Pappbecherchen kommt. Großartig hingegen ist das Erbsenpüree mit seiner gar nicht zurückhaltenden Minznote, wobei ich mich meiner Vorbloggerin anschließe, die findet, er müsste heiß sein statt lauwarm.
Bei der Weinauswahl beweise ich heute kein gutes Händchen. Vielleicht liegt es an der Filterkaffeeüberdosis einer neunstündigen Busfahrt, ich jedenfalls empfinde den Muskateller als zu mineralisch-herb. Wieder einmal schwebt die Möglichkeit des G’sprizten im Raum, eine österreichische und mir völlig unverständliche Praxis des Getränkepanschens. Entweder ich trinke Wein oder Wasser – und wenn der Wein so miserabel ist, dass ich ihn strecken muss, will ich ihn auch nicht trinken. Spürbar genervt bringt die Bedienung stattdessen einen Chenin Blanc, nicht ohne mein vermeintliches Weinwissen in seine Schranken zu weisen. Was sie an Freundlichkeit vermissen lässt, gleicht der ältere Herr, der aussieht wie Jacques Tati und die Falter-Seiten mit liebevollen Handgriffen in Tischdecken verwandelt, wieder aus.
Beim Gehen glaube ich, Katharina Seiser am Nebentisch sitzen zu sehen. Sie sieht sehr nett aus. Kurz überlege ich, sie anzusprechen, ein Schritt vom einsamen digitalen Wolf hin zum analogen Rudeltier. Ich lasse es bleiben.
Im Gegensatz zum Blogger ist der Wirt kein einsamer Wolf. Er liebt es unter seinesgleichen zu sein und nach Sperrstunde, wenn die letzten Gäste gegangen sind, die Küche geputzt und die Abrechnung erledigt sind, mit anderen seines Gewerbes Geschichten auszutauschen. Über Gäste, Gastrokritiker, Blogger. Hin und wieder trifft man dabei noch auf den einen oder anderen Gast, lädt sich gegenseitig ein und plaudert plötzlich über die Grenzen der Kunden-Lieferantenbeziehung hinweg. Manchmal entstehen daraus auch Freundschaften. All das liebe ich an meinem Beruf. Was hätte ich alles versäumt, wäre ich weiterhin im Management von IT-Firmen geblieben! Vor allem aber liebe ich es, wenn sich jemand mit meinem Projekt auseinandersetzt und mehr als den üblichen Zweisätzer („Gute Küche, netter Service. Ich komme gerne wieder.“) verfasst. Deshalb vorweg schon einmal ein großes Danke! Danke auch für die vielen lobenden Worte.
Ich erinnere mich an den besagten Donnerstag noch genau, denn der „wine incident“ war in unserer Nachbesprechung ein Thema, schließlich passiert es höchst selten, dass Beanstandungen kommen. Und die Weinkarte ist sowieso eine meiner Lieblingsspielwiesen, sehr zum Leidwesen meiner Frau, die über jede neue Kiste stöhnt. Der Gelbe Muskateller stammt vom Bio-Weingut Ploder-Rosenberg aus der Südsteiermark, konkret aus dem steirischem Vulkanland und ist ein typischer Vertreter der steirischen Weinstylistik: ordentliche Säure, und – in diesem Fall – deutlich mineralisch. Ich mag das, verstehe aber sehr gut, dass das nicht jede/r so sieht. Wir werden deshalb beim Aufnehmen der Weinbestellungen verstärkt darauf achten, auf die Charakteristik des ausgewählten Weins hinzuweisen. So, und jetzt stelle ich mich mal auf meine Seifenkiste, und verkünde, dass für den G’spritzen nicht automatisch schlechter Wein verwendet wird. Einfacher Wein ja, schlechter nein. Aber vermutlich versteht man unsere Vorliebe für dieses Getränk nur als echter Österreicher, genauso wie nur Deutsche Gefallen an Jägerschnitzel finden können. Und schon steige ich wieder runter von der Seifenkiste. Halt – da war noch was! Rauf auf die Kiste: Ich mag meinen coleslaw. Deshalb wird er so bleiben wie er ist. Runter von der Kiste. Was die Wedges betrifft habe ich das als one-time-wonder abgehakt, weil sie bislang immer wegen ihrer Knusprigkeit gelobt wurden. Ich werde aber sicherheitshalber von jeder Portion, bevor sie rausgeht, ein Wegde kosten, bis ich nicht mehr wie Jacques Tati sondern wie Gérard Depardieu aussehe. Und beim nächsten Wienbesuch freue ich mich schon auf ein persönliche(ere)s Kennenlernen. Vielleicht sogar nach der Sperrstunde.
Lieber Michael aka Jacques Tati,
danke für diesen herzigen Kommentar! Ein einziger Blogpost reißt die Küchenperle aus ihrer Kritiker-Einsamkeit. Ein paar Tage vor Dir gab sich nämlich Katharina Seiser auf dem elektronischen Weg zu erkennen (nachzulesen hier: https://twitter.com/evaperlaperla/status/530320478372900864) – tatsächlich war sie es, die an jenem Donnerstag am Nebentisch saß und keine ihrer Doppelgängerinnen.
Nächstes Mal solle ich bitte nicht so scheu sein. So hab ich schon zwei weitere Gründe (zu den vielen anderen), ganz bald wieder nach Wien zu kommen. Wenn die Stunde der Demaskierung schlägt, schaue ich vor der Sperrstunde im Reisinger’s vorbei und bleibe solange, bis ich meine Meinung über den G’spritzten geändert habe.
Bis dahin: rauf auf die Seifenkiste!
Liebe Grüße aus Berlin,
Eva
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